Bennewitz, Teil 3

Das Leben außerhalb des Kliniktrakts war als eher noch Depressionen erzeugend zu bezeichnen, als das im Trakt selbst.




Jeden Abend verließ ich also die Station und begab mich in den Eingangsbereich. Dort fand man die TROTZ-ALLEDEM-RAUCHER, denen das Nikotin über jede lebenserhaltende Maßnahme ging und den einen oder anderen wie mich, die halt nicht bereit waren, um 17 Uhr in den Matten zu verschwinden.
Zwei davon werde ich nie im Leben vergessen. Der Eine, dessen Name ich in der Tat vergessen habe, war ein hochintelligenter ehemaliger Universitätsprofessor aus Leipzig, der trotz seines nun wahrscheinlich auf ewig andauernden Aufenthaltes im Rollstuhl seine Intelligenz und seinen Humor nicht verloren hatte.
Nummer zwei war M. aus Dresden. M saß ebenfalls im Rollstuhl, war sehr übergewichtig, hatte ein entstelltes Gesicht und rauchte schier ohne Pause. Auf meine Bitte hin erzählte er mir, was ihn in den Rollstuhl und nach Bennewitz getrieben hatte.
Nach heftigen Kopfschmerzen war er zum Arzt gegangen, welcher ihm nach einer Untersuchung mitteilte, dass er wohl nur noch ein Jahr zu leben hätte, weil etwas in seinem Schädel wachsen würde, was dort nicht hin gehört, was aber nie vollständig zu entfernen sei.
Nun hatte M. mittlerweile die dritte Gehirn-OP hinter sich. Seine Worte ließen mich heftigst weinen, darauf hin zog er meinen Kopf an seine Brust und sagte: "Nicht weinen! Guck mal, ich sollte nur noch ein Jahr leben. Nun sind es schon drei!"
Ich lernte in Bennewitz auch, eine RIESIGE Achtung vor kranken Menschen zu entwickeln.
Im Nachbarhaus neben der Cafeteria war die "Abteilung" für totkranke Patienten und ich fand es schon mehr als makaber, dass viele Besucher und Patienten beim Nachmittagskaffee mit Kuchen auf diesen Kliniktrakt blickten. Die Meisten wohl ohne zu wissen, welche Abteilung der Klinik da hinter ihrer Erdbeertorte lag...
Überhaupt war es interessant, dass das Schicksal einem auf solch seltbame Weise neue Freunde zuwarf. N. aus M bei Leipzig war Mitte 30, Mutter zweier Kinder. Das Schicksal wollte es, dass sie beim nächtlichen häuslichen Toilettengang stürzte, dadurch nicht mehr Laufen konnte und im Rollstuhl auf unserer Abteilung auftauchte. N hatte trotz alledem NIE ihr ansteckendes Lachen verloren und steckte mich damit ebenso an. Auch noch nie hatte ich zuvor bemerkt, wie mein Tischnachbar beim Essen SCHLÜRFTE und wie skurril das klang. Erst N.s lautes Lachen beim Abendessen ließ mich das erkennen und darüber ebenfalls, wenn auch nur innerlich, lachen. Manchmal sind es sehr einfache Dinge im Leben, die einen am Leben halten. Um es kurz zu machen: N lernte wieder laufen und wir sind bis heute befreundet. Wir hatten irgendwo das gleiche Schicksal und die gleiche Zeit, in der uns dieses Schicksal zusammen führte.
N. war und IST eine Kämpferin und es war einfach herzzerreißend, ihre Fortschritte beim Laufen mitzuerleben. Das baute selbst auf, einen Blick in die Zukunft zu wagen.
VIEL war nicht wirklich los in Bennewitz, jeder Tag zog sich dahin wie ein immer gleiches unnützes Stück im eigenen Leben.
Es begann um 6:45 Uhr mit Wecken, ein Phänomen, das ich bis zum Schluss nicht verstanden habe, denn vor 8 Uhr gab es eigentlich nie Frühstück. Leider achteten die Dienst habenden Schwestern mit Akribie darauf, dass man auch ja nicht in seinem Bett liegen blieb, sodass ich fast täglich bereits um 7:15 Uhr am Essenstisch erschien, dann war halt Warten und Warten und Warten angesagt



Dann mal zu den BESCHÄFTIGUNGEN. Ich beginne mal mit den Bastelarbeiten. Während sich die anderen Patienten mit der Herstellung von Körben beschäftigten, beschloss ich nach einer geraumen Überlegungszeit, einen FISCH AUS HOLZ zu "basteln", den ich jedoch im Laufe des Entstehens in einen FC CARL ZEISS JENA-Fisch (!) (Whatever it is!!!) verwandelte und ihn dann meiner Enkelin schenkte. Möge dieser Fisch auch noch in Jahrzehnten an meine einzig produktive Tätigkeit in der Bennewitzer Klinik erinnern!




Da man sich nicht wochenlang an einem HOLZFISCH festhalten kann, entstand auch noch ein hölzerner Brettkalender (!), in den ich die Monatsnamen mit Lötkolben einfügte. Nur Gott weiß vermutlich, wo dieser Kalender nun irgendetwas ziert.
Zu einer meiner liebsten Beschäftigungen gehörte das Fahrrad fahren. Natürlich kein "echtes", sondern einen Ergometerrad. Zudem waren mir die zwei Betreuer des "Bewegungraumes" sympathisch, da sie trotz all des Elendes, was sie wohl täglich umgab, offenbar nie ihren Humor verlernt hatten. So fuhr ich nun täglich mehrere Wochen lang die vom Ergometer angezeigten 29 Kilometer. Auch DAS wieder ohne Fahrradhelm (Ich gebe zu, ein sehr unpassender und makaberer Scherz!).
Was war sonst noch zu tum in den "Therapien"? Meist wenig, meist ging es eine geraume Zeit nur darum, kopierte DIN A4-Blätter sinnvoll auszufüllen (Zahlen in Zahlenreihen finden, Sätze ergänzen, etc. ...).
Eine große Erleichterung waren für mich die geschätzt zweimal pro Woche stattfindenden Gespräche mit einer Psychologin. Im Nachhinein begreife ich zwar, dass Vieles von dem, was sie mir erzählte, zu meinem Wohlwollen erfunden war, aber im Grunde hat mich das oft gerettet, wenn ich verheult und um innere Ruhe kämpfend vor ihr saß.
Nun sind ein paar Wochen vergangen und ich grübele, welche "Maßnahmen" denn in Bennewitz noch stattfanden, um mich aus dem Jammertal der Krankheit heraus zu holen.
Dass mir dabei nicht viel, eigentlich GAR NICHTS einfällt, zeigt, was mir dort "geboten" wurde, sodass ich mich auch noch im Nachhinein frage, was das alles sollte und welche Krankenkasse sich an so etwas eine goldene Nase verdient.

Mehr zu Bennewitz im nächsten Abschnitt.

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